Generation Z Wertewandel
Beitrag

Tugenden und junge Generationen

Tugenden sind und bleiben ein Thema – auch für die Jüngsten

Dieser Beitrag gehört zu ein Reihe, die sich mit den jungen Generationen und ihren Tugenden beschäftigt. So hat hier Benjamin Neukirch Stellung zu seiner eigenen Generation Z genommen, der Anlass für diesen kritischen Beitrag war. Dass der Umgang mit jungen Generationen nicht nur ein Gesellschaftsthema ist, zeigte auch die Dokumention der NWI-Konferenz, wie gehen Unternehmen mit jungen Menschen um. Das Dilemma der jungen Generationen mündete in ein neues Buch, dass im April 2019 erscheinen wird und hier bereits betrachtet werden kann. Der Text ist ein Auszug aus dem ersten Manuskript im Sommer 2018.

 

In diesem Beitrag möchte ich den Blick richten auf die Frage, wie es sich mit den Tugenden in einer vor allem durch das Internet wachsenden Unterhaltungs- und Spaßgesellschaft verhält. Braucht man sie noch oder ist das Schnee von gestern? Dieser Beitrag entstammt vom Sinn her aus meinem Manuskript des Buches „Verzockte Zukunft“, das voraussichtlich im März 2019 erscheinen wird.

 

Tugenden für das persönliche Glück

In seiner Nikomachischen Ethik stellte Aristoteles fest, dass der Mensch, um gut und glücklich zu leben, Tugenden besitzen müsse. Eine Liste von Tugenden findet sich hier. Er unterscheidet zwischen belehrbaren Verstandestugenden und lernbaren ethischen Tugenden (z. B. Tapferkeit, Besonnenheit). Ein Regelsystem (Polis) soll gewährleisten, dass der einzelnen nicht nur belehrt, sondern an gleichförmiges tugendhaftes Handeln gewöhnt werde (Höffe 2001). Diese Regelkreise waren seinerzeit vor allem den Staat. In der heutigen Interpretation ist der Staat als alleiniger Hüter und Wächter von Tugenden in den Hintergrund getreten. Dafür sind die Sozialisierungsformen Familie als auch das Bildungs- und Ausbildungswesen umso mehr gefragt. Sie sind die wesentlichen tugendimitierenden und tugendentwickelnden Institutionen unserer Gesellschaft. Und sie stehen vor besonderen Herausforderungen, denn die Entwicklung von Charakter ist ein langwieriger Prozess des moralischen Übens und Eingewöhnens.  

 

Tugenden in einer Spaßgesellschaft

Tugend ist eine Charaktereigenschaft. In der Generation heute haben Tugenden hingegen keinen guten Ruf, wie Edith Piaf einmal sagte: „Tugend ist, wenn man so lebt, dass Leben keinen Spaß mehr macht“. Tugenden verhindern das gute Leben, sie schränken ein, werden als Gegenteil von Spaß betrachtet, machen Arbeit, erfordern Übung. 

Die jungen Generationen werden in einer Spaßgesellschaft groß. Der Philosoph Thomas Hobbes beschrieb in seinem Leviathan den Sinn des Lebens eines Menschen wie folgt. Der Mensch strebe dauerhaft nach Lust und vermeide alles, was Unlust mit sich bringe. Das Streben nach Lust ist eine originäre Eigenschaft des Menschen. Viele von uns glauben, dass der sinn des Lebens darin bestände, diese Lust dauerhaft und vor allem grenzenlos zu maximieren. Doch selbst die scheinbar superreichen mit vielen Luxusautos und Yachten oder die scheinbar Prominenten in den Castingshows wissen zu berichten: Materieller und immaterieller Wohlstand entstehen nicht durch Maximierung von Spaß. 

Die Spaßgesellschaft sorgt statt dessen dafür, dass wir dauerhaft mit Konsumangeboten betäubt werden. Sie liefert das Gegenkonzept der Tugenden wie Askese, Enthaltsamkeit, Achtsamkeit und Verzicht. Sie blendet das reale Leben aus, das manchmal auch mit grauer Freudlosigkeit am Tun verbunden ist. Daher ist sowohl physische als auch geistige Arbeit auch heute immer noch nicht das, was ausschliesslich Spaß macht, sondern ein manchmal freudloser Prozess auf dem Weg zum Ergebnis oder zur Erkenntnis.  

 

Kollektive Bequemlichkeitsverblödung

Der Generation geht es also wie der gesamten Menschheit schon immer nicht nur um die Befriedigung ihres Lustprinzips, nein, es geht um die Maximierung des Lustprinzips. Sie trägt dieses Prinzip hoch auf ihrem Schild. Die viele Zeit, die mit dem Suche der Lustbefrieidigung investiert werden muss, verdrängt zwangsläufig die Zeit für die Entwicklung von tugendbildenden Charaktereigenschaften. Wer benötigt für die neueste Netflix-Staffel schon Charakter, gar bürgerliche Tugenden? Die digitale Medialisierung einer gesamten Generation bringt andere Tugendanforderungen mit sich: Durchhaltevermögen für den Dauerkonsum, schnelle Reaktionszeiten im Nachrichtenfeuer der Smartphones, viel Lesen aber wenig verstehen.  

Der Politikwissenschaftler Kliche spricht von einer Untergangsphase der Demokratie, „weil die Leute lieber dreimal im Jahr Urlaub machen oder Dschungelcamp schauen, als sich auch nur mit den einfachsten Grundlagen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu beschäftigen.“ Er nennt dies eine kollektive Bequemlichkeitsverblödung. Sie fällt jeder Gesellschaft früher oder später auf die Füße. 

 

Tugenden als Gegenkonzept zum digitalen Dauerfeuer

Das digitale Dauerfeuer und die unbeschränkten Zugänge zu Medieninhalten sind der Turbo im leistungsstarken Konsummotor. Er negiert jegliche Form der Tugend und hält die Generation und ihre Peer-Groups ebenso ab von Reflexion ihres Handelns als mögliche Initiative als von der Aus- und Weiterbildung. Der Nichtbedeutung von Tugenden löst den Klebstoff des Einzelnen zur Gesellschaft schleichend auf und erklärt ihn für nichtig. Der Generation kann dafür nicht die Schuld gegeben werden. Diese ist im System zu suchen, bei uns Erwachsnen, die dem digitalen Dauerfeuer ebenso unterliegen und keine Zeit und Energie für die Diskussion und Weitergabe von Tugenden investieren. Sie unterliegen dem Konsum ebenso wie ihre Kinder. 

Die Herausforderungen Deutschlands und Europas lassen sich nicht mit dem Computer oder dem Tablet auf dem Sofa lösen. Der Glaube, dass Demokratie nicht mehr auf sozialen Werten und individuellen Tugenden basieren, sondern durch eine internetbasierte Schwarmintelligenz von Völkern ersetzt werden könne, ist eine verlockende Hoffnung. Doch spätestens seit den politischen Aufständen in Ägypten wissen wir, Internet schafft keine Demokratie, sondern bleibt ein stupides Werkzeug für Einzelne und politische Subgruppen. 

 

Junge Generationen sind Opfer unserer Gesellschaft

Die Generation ist ein Opfer ihrer Gesellschaft, deren Elite und Akteure es versäumt haben, sich während der rasanten Entwicklung des Internets und der Konsequenzen  dieses Themas auf die charakterliche Fehlentwicklung der Menschen und die Demokratie aktiv zuzuwenden. Sie haben es verpasst, die Spätphase unserer Demokratie aktiv umzugestalten. 

Und was ist mit der Generation? Sie spürt ihre eigene „kollektive Bequemlichkeitsverblödung“. Sie  erfahren in ihrem Bildungs- und Sozialisierungsprozess, dass es wird immer anstrengender wird, neue Lösungen zu generieren, sie vernünftige zu formulieren und dafür Unterstützung zu erhalten. Charakter wird daher immer wichtiger. Tugenden werden immer bedeutsamer. Sie sind das mentale Rückgrat für unkonventionelle Ideen. Sie helfen, diese Ideen zu bewerben, sie geben den Rückhalt, den Kopf aus dem Fenster zu strecken, selbst wenn es draußen stürmt. Die Grundlagen in den jungen Generation sind hier bei weitem noch nicht gelegt.

 

Quellen:

Höffe, Otfried (2001): Aristoteles’ Politische Anthropologie, S. 21–35, in: Otfried Höffe (Hrsg.): Aristoteles, Berlin: Akademie Verlag

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