Die digitale Bildung wird in diesen Wochen und in den nächsten Monaten einen Bestätigungsschub erfahren wie nie zuvor. Zugleich wird auch deutlich, dass die Corona-Pandemie eine Krise unserer Gesellschaft offenbart. Wir unterliegen einem fatalen Denkfehler.
Dieser Text ist eine erweiterte Version des am 7.4. erschienen Kommentars im Hessischen Rundfunk.
Besonders schmerzvoll wirkt die Krise auf die Menschen, die von Ihren Arbeitgebern nach Hause geschickt wurden. »Home-Office« ist (nun endlich) ein wichtiges Gesellschaftsthema geworden und liefert Vätern und berufstätigen Müttern eine segensreiche Steilvorlage. Doch im Home-Office warten täglich stundenlange Videokonferenzen und »Home-Kinder«. Sie wurden ebenfalls vor Wochen aus den Schulen nach Hause geschickt. Und so erfreuen sich alle neuen »Home-Worker« auch noch am »Home-Schooling«.
Die sozialen Medien sind voll von Diskussionen über das Schlimmere von Beiden: Home-Office oder Home-Schooling. Natürlich gibt es dazu heute noch keine eindeutige wissenschaftlich fundierte Antwort. Eines aber ist klar. Mit unserer antrainierten Haltung ökonomisch geleiteter Effizienz in allen Lebensfragen sind Outsourcing und liberale Erziehung das herrschende Paradigma in unserer Gesellschaft. Wie passen da neue Formen des »Home-Offices« und »Home-Schooling« hinein? Ganztägige Beschäftigung mit den eigenen Kindern, pädagogische Unterweisungen, Kontrolle von Hausaufgaben, Zurückdrängen und Organisieren eigener beruflicher Aufgaben usw. Was viele Vollzeitmütter seit jeher beherrschen, erleiden nun auch jene Väter und Mütter, die krisenbedingt zu Hause arbeiten müssen. Erstmals funktioniert Outsourcing von Bildungs- und Erziehungsaufgaben im Zuge der täglichen Optimierungs- und Effizienztreiberei nicht mehr.
Doch die Lösung naht mit schnellen Schritten. Wie schnell ist mit der Krise der Wunsch in unserer Gesellschaft gewaschsen, die pädagogische Arbeit mit unseren Kindern an Computersysteme, eLearnings und Lernportale zu delegieren. Sollte also für Jeden eine Technologie zur Verfügung stehen, die die pädagogische Unterweisung, das Fragenbeantworten und die Lernerfolgskontrolle komplett übernehmen könnte, wäre Home-Office gar nicht mehr so schlimm und Home-Schooling erfolgreich an die Technologie outgesourct.
Wunsch muss jetzt endlich Wirklichkeit werden, schreien Medien und erhalten Beifall. Obwohl gerade Eltern leibhaftig erfahren, welche Anstrengungen und Fähigkeiten pädagogisches Denken und didaktische Arbeit erfordern. Und genau hier liegt der Denkfehler von Beifallklatschern und Leichtgläubigen: Informationssysteme und künstliche Intelligenzen können weder pädagogisch noch didaktisch denken und mit jungen Menschen arbeiten. Dies gelingt noch weniger, je höher ein allgemeiner höherer Bildungsanspruch verfolgt wird. Jede Home-Schooling-Mutter und jeder Vater erfahren in dieser Zeit, dass Lernerfolg mit Anstrengung und nicht mit Daddeln verbunden ist. Die Nutzung von Games ist seit des Kontaktverbotes laut einer aktuellen Umfrage der Media-Agentur Havas um 36 Prozent gestiegen. 55 Prozent der Kinder bleiben derzeit auch länger wach und lassen sich von Streamingdiensten berieseln. Das einige noch analoge Brettspiele spielen, deutet auf ein wenig Licht am Ende des digitalen Tunnels.
Es liegt an uns, die Zeichen der Zeit zu erkennen und richtig zu interpretieren. Wir Eltern müssen von Pädagogen und Politikern Mut und Engagement für mehr humanorientierte und ganzheitliche Bildung unserer jungen Menschen einfordern. Die weltweite Corona Krise zeigt doch deutlich, dass die Katastrophe nicht durch mehr oder weniger Tablets in den Schulen und zu Hause verursacht wird. Die Geräte in den Schulen sind – das zeigt die Historie neuer Medien in den Schulen – in drei Jahren abgeschrieben, defekt und verschollen. Die Katastrophe besteht vielmehr in dem Irrglauben von Pädagogen, Politikern und vielen Digital-Sorglos-Eltern, humane Bildung nun endlich durch Technologien ersetzen zu müssen, damit unsere Kinder schlau(er) werden und wir unserem Effizienztrott folgen können. Das Gegenteil ist der Fall.
Ja, sehr gute Analyse. Ich bin sehr erstaunt, wie viele Menschen in meiner Umgebung plötzlich der Digitalisierung Möglichkeiten zuschreiben, die sie vor Corona – wie ich auch – kritisiert haben.