Interviewgespräch zwischen Louisa Heske und Prof. Dr. Gerald Lembke zum Thema „Einsatz von KI in der journalistischen Videoproduktion“
Heske: Haben Sie bereits Erfahrung mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bereich der Video Berichterstattung gemacht?“
Lembke: „Ja, in der Tat. Ich arbeite selbst seit Ewigkeiten mit solchen Tools zusammen und insofern habe ich sehrviel Erfahrung damit.“
Heske: „Welche Chancen birgt der Einsatz von Automatisierung für den Videojournalis- mus?“
Lembke: „Na ja, also Chance, insbesondere um eine rein textliche Nachricht zu visualisieren ist ein großer KI-Bereich. Direkt Nachrichtenbereich auf der Straße sicherlich eher weniger. Aber um jetzt Inhalte zu entwickeln, also anzureichern mit multimedialen Elementen, sehe ich den größten Anwendungsbereich.“
Heske: „Wo liegen da die Risiken?“
Lembke: „Risiken sind immer da gegeben, wenn man eine Maschinen entscheiden lässt, welche Nachrichten,welche Inhalte entsprechend kommuniziert werden sollen. Also da bedarf es auf jeden Fall noch den Menschen, der die Maschine als Werkzeug nutzt und nicht seine Aufgabe an die Maschinen delegiert.“
Heske: „Würden Sie das auch als Grenze bezeichnen, dass niemals eine KI einen Menschen ersetzen kann oderist das durchaus in ein paar Jahren möglich?“
Lembke: „Sicherlich, da wird sich im Journalismus in den nächsten Jahren massiv viel verändern. Auf der anderenSeite weiß ich natürlich auch, dass die Journalisten selber natürlich die Sprachmodelle, wie ChatGPT und so weiter, für die eigene Arbeit auch nutzen. Da wird es sicherlich keine Substituierung geben, das glaube ich nicht. Eine Maschine wird nicht einen Journalisten ersetzen, da bin ich überzeugt. Die Menschen werden das als Werkzeuge lernen zu nutzen und dann wird es eher die Arbeit und die Produktivität fördern und erleichtern, als zu ersetzen.“
Heske: „Welche Aufgabenbereiche können speziell in der Videoproduktion übernommen werden?“
Lembke: „Ich meine, ein gutes Video braucht ein Videoskript. Jedes Video braucht ein Skript. Man muss beschreiben, was erscheinen soll. Das war schon so, das ist so und wird auch immer so bleiben. Das wird sich nie ändern. Sicherlich wird es in 50 Jahren solche Maschinen geben, die diese Video Skripte komplett alleineschreiben
werden. Da sind heute schon sehr gute Tendenzen zu erkennen. Nichtsdestotrotz muss man einer Maschine sagen, was sie letztendlich schreiben soll. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit Maschinen und Software tatsächlich in der Lage sind, selbstständig Skripts zu schreiben. Auf der einen Seite brauchst du immer eine Zielgruppe, schreibstimmer für deine Leser und Leserinnen, dann für die Zuschauer und Zuschauerinnen. Insofern ist da dermenschliche Kontakt und das menschliche, empathische Verständnis zwischen Menschen das Entscheidende, wasletztendlich am Ende herauskommt. Das kann eine Maschine nicht.“
Heske: „In meiner Bachelorarbeit gehe ich auch darauf ein, ob die KI überhaupt diese journalistische Qualität hat, die der Mensch hat. Da erste Frage befasst sich mit der Objektivität. Also algorithmische Werkzeuge sind imGrunde Maschinen und Maschinen haben ja keine Emotionen. Ist dadurch so eine objektive Produktion vonInhalten vorausgesetzt?“
Lembke: „Ich sehe durchaus eine Riesenchance für die Zukunft, Daten und Informationen von Maschinen besser zusammentragen zu können und besser und schneller vor allem auswerten zu können, als es der Mensch jemals konnte. Da wird es sicherlich große Fortschritte geben. Das sieht man jetzt schon. Maschinen haben natürlich keineEmotionen. Das wird auch noch 100 Jahre dauern, bis man da überhaupt erste Fortschritte sehen kann. Natürlich ist jetzt journalistische Arbeit immer emotional geprägt. Ich denke nur an den investigativen Journalismus, der in der Regel immer emotional getrieben ist. Die Journalisten sagen das natürlich nicht, aber am Ende ist, wenn jemand hinter einem Multimilliardär oder Bundespräsidenten her ist, dann ist er emotional motiviert, weil er weiß, dass er mit seinen Worten und seiner Berichterstattung diese Menschen stürzen kann. Das hat mit Sachlage dann wenig mehr zu tun. Das heißt also, es wird schon eine hybride Mischung zwischen Mensch- Maschine-Kommunikation geben. Dass der Mensch sicherlich die Emotionalität seiner Motivation in die Beauftragung von Maschinen gibt, die dannletztendlich nichts anderes tun, als das Material auswerten.“
Heske: „Wie sehen Sie das auch im Hinblick auf die Machart, also auf die Unterhaltsamkeit und Originalität? Kann das eine KI genauso gut wie der Mensch im Bereich der Videoproduktion?“
Lembke: „Das wird die Zukunft sein. Das kann man heute nicht sagen. Also man sieht, dass die Kreativität in Form von maschinell erstellten Medienprodukten, um das vorsichtig zu formulieren, stark verbesserungswürdig ist. Manmuss ja davon ausgehen, dass diese Maschinen, die gerade Deep Learning Technologien anwenden, da sicherlich die größten Vorsprünge in den nächsten Jahren und Jahrzehnten machen werden. Aber sie wird niemals diemenschliche Kreativität ersetzen können, davon bin
ich fest überzeugt. Kreativität bedeutet ja immer, Lösungen für neue Probleme zu finden. Wo Maschinen gut sind, sind standardisierte Probleme, die schon vier Millionen Mal aufgetreten sind, auszuwerten, zu sammeln und darauseine analoge Problemlösung zu formulieren. Sobald ein neues Problem kommt, ist eine Maschine gar nicht in der Lage, das zu bewerten. Da braucht es die Menschen in Zukunft immer mehr. Aber ja, wir werden natürlich in eine Zweiklassengesellschaft gehen, sag ich mal, die Wissensarbeiter das zu nutzen wissen und der Rest überhauptnicht.“
Heske: „Wenn wir das noch mal auf den Workflow beziehen, glauben Sie, es gibt eine Kombination zwischen KIund den journalistischen Tätigkeiten? Inwiefern ist der Einsatz von KI effizienter? Ist da ein großer Unterschied?“
Lembke: „Also erst mal entscheidend das der Mensch selber. Der Mensch ist der Entscheider, der entscheidet, ob er eine Maschine nutzt, ja oder nein? Wenn ich sage, ich nutze keine Sprachmodelle, um meine journalistischeArbeit zu machen, dann ist das eine Entscheidung und dann bleibt es so, wie es schon immer war. Da wird es sicherlich einige, sage ich mal, Silberrücken schon geben, die dann in den nächsten zehn Jahren noch arbeiten, aber dann werden die weg sein. Dann werden Menschen hinterherkommen, die heute schon diese Technologienverstehen oder gerade erst lernen, damit zu arbeiten. Das hängt wirklich von der ganz individuellen Lernkurve deseinzelnen Menschen ab. Ich bin davon überzeugt, dass es kein Massenphänomen in dem Sinne sein wird, dass wir in zehn Jahren alle nur noch ausschließlich unsere Arbeit von KI erledigen lassen. Das ist totaler Blödsinn. Alsodiese Angst ist völlig unbegründet im Journalismus. Es wird darum gehen, eine smarte und zielführende Mensch-Maschine-Interaktion zu implementieren, die die Maschine oder die KI im weitesten Sinne als Werkzeug für die eigene Arbeit zur Verfügung stellt. Nicht mehr und nicht weniger. Da wird man jetzt einfach mal abwarten müssen, wie die Entwicklungen in den nächsten Jahren sein werden. Sicherlich wird es so sein, dass im Hinblick auf die Sprachmodelle, eine massive und temporeiche Entwicklung vor uns steht, von der wir noch nicht ganz genau wissen, wohin geht sie? Aber ich bin, wie gesagt, fest davon überzeugt, dass wir als Menschen das Beherrschen lernen müssen und nicht und es wird nicht umgekehrt sein.“
Heske: „Wenn man jetzt wirklich KI einsetzt, inwieweit ist es dann ethisch bedenklich, wenn Kernkompetenzen bzw.Teilaufgaben komplett an die KI abgegeben wird?“
Lembke: „Also, wenn ich jetzt Aufgaben an eine Maschine abgebe, das ist, meine ich, ethisch völlig unbedenklich. Das ist aber meine persönliche Meinung. Denn es war schon immer so und wenn wir die letzten 100 Jahre malzurückschauen. Vor fast exakt 100 Jahren, als das Automodell, von dem Henry Ford gebaut wurde, da hat man dieProduktion von Automobilteilen an eine Maschine übergeben, was noch Jahre
zuvor mit Hammer und Meißel noch von Menschenhand gemacht wurde, also beispielsweise ein Kotflügel zu erstellen. Da hat sich die ethische Frage auch nie gestellt. Sie hat sich schon gestellt, aber da sind einfach die Produktivitätsvorteile einfach so massiv, dass sich diese Frage eigentlich im Alltag nicht stellt. Ich halte die ethischeDiskussion im Bereich der KI vor allem für eine, sage ich mal, sehr kulturpessimistisch und philosophisch geprägteDiskussion, die durchaus auch notwendig ist. Wir sind ein Land des Diskurses in Deutschland, das ist gut so und das wird auch so bleiben. Aber in der Praxis wird sich das durchsetzen, was dem Menschen dient. Das war so, das ist so und wird auch in Zukunft so bleiben. Dazu wird die KI auch gehören. Nichtsdestotrotz, betone ich dasnochmal, ist die ethische Diskussion in einem so kulturell geprägten Land wie unseres sicherlich sehr notwendig.“
Heske: „Dann kommen wir mal auf den Punkt Transparenz zu sprechen. Warum sollten automatisierte Videoproduktionen gekennzeichnet werden? Sollen sie gekennzeichnet werden oder ist es gar nicht nötig?“
Lembke: „Ich weiß, da geht die europäische Gesetzgebung hin. Sicherlich wird das so kommen. Wir werdensicherlich in eine Kennzeichnungspflicht kommen. Ich halte es für absolut sinnfrei. Also stellen Sie sich mal vor, Coca-Cola entwickelt ein neues Brausegetränk und nimmt drei Teile aus der Coca-Cola und zwei Teile aus derFanta und macht daraus etwas Neues. Dann sind die Bestandteile vorher schon da gewesen und das Produkt istein neues. Muss ich das jetzt kennzeichnen, dass nun drei Bestandteile von Coca-Cola und zwei Bestandteile von der Fanta, das ist totaler Irrsinn. Das ist bei einer KI auch, wenn ich einen Text schreiben lasse von ChatGPT, dann werden Wörter aus dem Text A genommen und Wörter aus Text B genommen und daraus wird ein neuer Text erstellt, warum muss ich so was kennzeichnen? Das erschließt sich mir intellektuell in keiner Weise. Das nun diese Kennzeichnungspflicht kommt, ist einzig und allein nicht aus der Logik heraus abgeleitet, sondern aus Angst, weildie Menschen, die diese Gesetze machen, einfach nicht verstehen, wie das funktioniert. Ich denke mal, wenn ich ein Gesetz mache, soll ich mich erstmal damit beschäftigen, wie es eigentlich funktioniert und nicht durch Emotionen wie Angst dazu leiten lassen, dass wir nun von Maschinen alle getötet und auf den Mond geschossen werden. Das ist totaler Irrsinn.“
Heske: „Und dann hätte ich gerne noch eine kleine Einschätzung. Ich werde Ihnen gleich noch mal die Bereiche nennen und Sie sagen mir, welchen der Bereiche Sie als journalistisch am wichtigsten halten. Also worauf darfüberhaupt nicht verzichtet werden? Das wäre einmal die Aktualität, die Objektivität, die Originalität, die Transparenz und die Verständlichkeit. Gibt es ein wichtiger und ein unwichtiger. Oder wollen Sie einen Bereich besondershervorheben?“
Lembke: „Nein.“
Heske: „Also alle gleichwertig?“
Lembke: „Aus der Ferne betrachtet, ja durchaus.“
Heske: „Okay, dann habe ich noch ein kleines Zitat mitgebracht. Agent Smith sagt in dem Film Matrix ‚nimm nie einen Menschen, wenn du eine Maschine dafür nehmen kannst‘. Wollen Sie da nochmal einen kurzenZukunftsausblick geben?“
Lembke: „Es kommt ja aus einem, sag ich mal Science Fiction Film und in diesem Kontext passt das wie Faust aufs Auge. Aber wenn man das runterbricht auf unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben in der Realität, dann gab es das auch schon immer. Vielleicht nicht in dieser Konsequenz dieses Zitates, weil es steckt eine Fiktion dahinter. Aber wenn man das im betriebswirtschaftlich betrachtet, gab es das auch schon immer. Denken wir an die Automobilproduktion in den 1980er und 1990er Jahren, als sich die Robotik in der Automobilproduktion durchgesetzt hat. Alle Menschen schreien seit jeher, seit über 150 Jahren Industrialisierung weltweit nach besseren Arbeitsbedingungen. Statt den Menschen jetzt in die Automobilproduktion nachts um drei an einem Kotflügel herum schweißen zu lassen, stellt man da einfach einen Roboter hin, weil das ist eine repetitive Arbeit. Der Roboter kann dir dann die Arbeitslast abnehmen als Menschen und er kann das sogar noch mit besserer Qualität, höherem Tempo und mit einer höheren Produktivität machen. Warum sollte man das nicht tun? Verstehe ich nicht. Es ist eben nicht nur besser für das Unternehmen und damit auch besser für die Kunden. Es bietet auf jeden Fall das Potenzial, etwas für die Menschen besser zu tun, für die Kundschaft. Es ist besser für den Mitarbeiter, der nichtnachts um drei mit der Schweißbrille übermüdet an einem Kotflügel herumschleifen muss. Wenn das als eine repetitive Arbeit diese Mehrwerte verspricht und dann auch in der Vergangenheit bewiesen, erfüllt, dann halte ich von diesem Zitat sehr viel. Dann würde ich es zumindest aus der betriebswirtschaftlichen Brille durchaus auch soeinsetzen. Ob ich das nun will oder nicht, diese Frage stellt sich gar nicht. Unternehmen betriebswirtschaftlich und makroökonomisch betrachtet sind in einem dauernden Wettbewerb und es geht ums Prinzip höher, schneller, weiter. Ob ich es toll finde, das spielt keine Rolle, sondern wenn fünf Unternehmen eine Brause produzieren, da kommt es darauf an, wer hat die leckerste Brause zu den günstigeren Preisen. Wenn Maschinen diese Ziele fördern, dann wird das auch immer eingesetzt.“
Heske: „Und im Bereich des Journalismus sehen Sie das ähnlich wie bei der Betriebswirtschaft?“
Lembke: „Absolut. Wenn dann eine dpa-Meldung kommt, dann kommt es darauf an, welche Tageszeitung haut zuerst diese Meldung heraus. Und wie schnell kann zu einer dpa-Meldung ein Kommentar erstellt werden? Werzuerst den Kommentar zum Sturz eines Bundespräsidenten auf seiner Online-Nachrichtenseite bringt, der hat die höchsten Klicks. Wer die höchsten Klicks hat, hat die höchste Leserschaft. Wer die höchste Leserschaft hat, hat das höhere Werbebudget. Wer das höhere Werbebudget hat, verkauft wiederum mehr Tageszeitungen. Wenn ich da jetzt eine KI im Hintergrund habe, die sagt werte mir alle Meldung aus und schreibe mir innerhalb von drei Sekunden einen Kommentar zu allen Meldungen, dann habe ich den Vorteil zu den Mitbewerbern.“
Heske: Das war zum Abschluss ein sehr schöner Zusammenhang. Vielen Dank für das Interview.“