Frauen in technischen Berufen
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Frauen in technischen Berufen

Frauen in technischen Berufen: Vom historischen Erbe zur zukunftsweisenden Transformation

Silicon Valley steht seit jeher als Symbol für technologischen Fortschritt – doch die Protagonist:innen dieser Revolution waren lange Zeit unsichtbar. Während der aktuelle Diskurs über Geschlechtergerechtigkeit in der Tech-Branche hitzig geführt wird, zeigt sich an meiner Dualen Hochschule Baden-Württemberg und im Besonderen an meinem Studiengang Digitale Medien – Medienmanagement und Kommunikation ein bemerkenswerter Trend: Über 70 % der Studierenden im Studiengang Digitale Medien durchschnittlich sind junge Frauen. Diese Diskrepanz zwischen akademischer Realität und industrieller Praxis wirft Fragen auf, die tief in die DNA unserer technologischen Gesellschaft reichen müssen.

 

Vergessene Frauen in technischen Berufen wie der Informatik

Die Geschichte der Computerwissenschaften ist untrennbar mit Visionärinnen verbunden, deren Beiträge jahrzehntelang marginalisiert wurden. Ada Lovelace, Tochter des Dichters Lord Byron, entwickelte bereits 1843 den ersten Algorithmus für Charles Babbages mechanische Rechenmaschine „Analytical Engine“. Ihre visionären Notizen beschrieben nicht nur mathematische Berechnungen, sondern skizzierten erstmals die Möglichkeiten maschineller Komposition von Musik und Kunst – ein Konzept, das der modernen KI-Kunst um 180 Jahre vorausgriff (Quelle).

Im Zweiten Weltkrieg revolutionierte Grace Hopper die Programmierung durch die Erfindung des Compilers, der es ermöglichte, Code in englischer Sprache statt binärer Zahlen zu schreiben. Ihre Beharrlichkeit gegenüber skeptischen Kollegen („Es gibt keinen Grund, warum Computer nicht menschliche Sprachen verstehen sollten“) legte den Grundstein für barrierefreie Programmiersprachen (Quelle). Diese historischen Leistungen stehen exemplarisch für ein paradoxes Phänomen: Obwohl Frauen die Informatik in ihren Anfängen maßgeblich prägten, sank ihr Anteil in den 1980er Jahren drastisch – von 37 % auf 18 % innerhalb eines Jahrzehnts4.

 

Die neue Generation weiblicher Tech-Führungskräfte

Die Gegenwart zeichnet ein Bild des Umbruchs. Sheryl Sandberg (Meta) und Susan Wojcicki (YouTube) stehen nicht mehr als Ausnahmeerscheinungen da, sondern als Teil eines wachsenden Netzwerks weiblicher Führungskräfte. Reshma Saujani, Gründerin von Girls Who Code, adressiert systematisch die „Pipeline-Problematik“: Ihre Organisation bildete seit 2012 über 500.000 Mädchen in Programmiersprachen aus und reduziert die Gender-Lücke in Computer-AP-Kursen um das 15-fache (Quelle).

In Europa zeigt Lea von Bidder, CEO des Zürcher Femtech-Unternehmens Ava, wie feministische Technologiegestaltung Märkte erschließt. Ihr Zyklustracker kombiniert biomedizinische Sensoren mit KI-Algorithmen, um Frauenärzt:innen präzisere Fertilitätsdaten zu liefern – ein Markt mit 1,8 Mrd. USD Volumen, den traditionelle Tech-Firmen jahrzehntelang ignorierten2. Diese Beispiele verdeutlichen einen Paradigmenwechsel: Frauen gestalten Technologie nicht mehr nur mit, sondern definieren ihre Anwendungsbereiche neu.

 

Der akademische Vorsprung: 70 % Frauen in digitalen Medien

Die Dominanz weiblicher Studierender in meinem Studiengang spiegelt einen europaweiten Trend wider: Laut Eurostat-Studien entscheiden sich 62 % der Frauen in MINT-Fächern für medienorientierte Informatikstudiengänge – gegenüber 38 % in klassischer Softwareentwicklung. Experten führen dies auf drei Faktoren zurück:

  1. Interdisziplinäre Ausrichtung: Digitale Medien verbinden technische Kompetenz mit ästhetischer Gestaltung und ethischer Reflexion – ein Profil, das 73 % der befragten Studentinnen als „ganzheitlicher“ bewerten als rein codebasierte Curricula (Quelle).
  2. Soziale Impact-Orientierung: 68 % geben an, Technologie primär als Werkzeug für gesellschaftlichen Wandel zu begreifen (vs. 32 % bei männlichen Kommilitonen) (Quelle).
  3. Role-Model-Effekt: Sichtbare Erfolge von Medienschaffenden wie Kara Swisher (Tech-Journalistin) oder Nikki Durkin (Gründerin der Coding-Plattform CodeMakers) demonstrieren Karrierepfade jenseits klassischer Engineer-Rollen1.

Dieser akademische Schwerpunkt könnte die Tech-Branche nachhaltig verändern. Analysen des MIT Media Labs zeigen: Teams mit hohem Frauenanteil in UX-Design und KI-Ethik entwickeln 40 % seltener gender-biased Algorithmen – ein entscheidender Faktor für inklusive Technologien (Quelle).

 

Systemische Barrieren und innovative Lösungsansätze

Trotz dieser Fortschritte offenbaren aktuelle Daten hartnäckige Disparitäten:

  • Nur 5 % der CEO-Positionen in deutschen Tech-Startups sind mit Frauen besetzt (Quelle).
  • Der Gender-Pay-Gap in der IT-Branche liegt bei 25 % – doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt (Quelle).
  • 45 % der Tech-Managerinnen berichten von „Glass-Cliff“-Phänomenen: Sie werden häufiger in Krisensituationen befördert, bei gleichzeitig 30 % höherer Fehlschlagswahrscheinlichkeit (Quelle).

Initiativen wie Black Girls Code (gegründet von Kimberly Bryant) oder Change The Ratio (von Rachel Sklar) adressieren diese Herausforderungen durch mehrschichtige Strategien:

  • Early-Exposure-Programme: Coding-Workshops für Mädchen ab 8 Jahren, die Programmierung über Minecraft-Mods vermitteln (Quelle).
  • Venture Capital Reform: Frauen geführte VC-Fonds wie FUEL Capital (Leah Busque) investieren gezielt in divers zusammengesetzte Gründungsteams (Quelle)
  • Policy Advocacy: Lobbyarbeit für Transparenzgesetze wie den UK Gender Pay Gap Report, der Lohnungleichheiten öffentlich macht (Quelle)

 

Hochschulen als Inkubatoren einer neuen Tech-Ära

Die 70%-Quote in meinem Studiengang wirft die Frage auf: Was macht diese Ausbildung attraktiver als klassische Studiengänge, die weiterhin männlich dominiert sind? Eine qualitative Studie der TU München identifizierte drei Erfolgsfaktoren:

  1. Projektbasierte Koedukation: Gruppenarbeiten simulieren reale Tech-Teams, wobei gemischte Teams 23 % höhere Kreativitäts-Scores erreichen (Quelle)
  2. Ethik-Integration: Jeder dritte Kurs behandelt Themen wie Algorithmic Fairness oder Sustainable UX – Bereiche, die 64 % der Studentinnen als Motivationsfaktor nennen (Quelle)
  3. Entrepreneurial Mentoring: Programme wie die UnternehmerTUM vernetzen Studentinnen früh mit Gründerinnen wie Jess Mah (inDinero), die ihr Unternehmen von 0 auf 250 Mitarbeiter skalierte (Quelle)

Diese Ansätze könnten Blaupausen für andere Institutionen sein. Wie Ann-Kristin Achleitner (TU München) betont: „Die nächste Tech-Generation will nicht nur coden, sondern gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Dafür benötigen wir hybride Kompetenzprofile (Quelle).

 

Zukunftsperspektiven: Vom Klassenzimmer ins Silicon Valley

Der Weg von der Hochschule in die Tech-Industrie bleibt steinig – in Deutschland und Europa. Doch neue Modelle wie Bumble’s Social Innovation Hub (geleitet von Kyra Seay) zeigen, wie Unternehmen von akademischer Diversität profitieren: Durch Partnerschaften mit Hochschulen identifizieren sie früh Talente und passen ihre Recruiting-Prozesse an – mit Erfolg: Die Fluktuationsrate in diesen Teams liegt 18 % unter dem Branchendurchschnitt (Quelle).

Gleichzeitig revolutionieren Absolventinnen digitale Medienformate: Vom feministischen Podcast „Sway“ (Kara Swisher) bis zum Instagram-Format „AI Explained“, das komplexe Tech-Themen für 2,3 Mio. Follower:innen zugänglich macht. Diese Content-Creatorinnen werden zu Brückenbauerinnen zwischen Tech-Eliten und Öffentlichkeit – entscheidend in Zeiten von KI-Skepsis und Metaverse-Debatten.

 

Fazit: Die stille Revolution

Während Silicon Valley noch um Geschlechterparität ringt, vollzieht sich an Hochschulen eine stille Revolution. Die 70 % Frauen in digitalen Medien sind kein Zufall, sondern Ergebnis gezielter Didaktik und werteorientierter Technologievermittlung. Diese Generation wird die Tech-Branche nicht nur durch ihre Kompetenz, sondern durch ein neues Verständnis von Innovation prägen – inklusiv, ethisch reflektiert und menschenzentriert.

Wie Debbie Sterling (Gründerin von GoldieBlox) treffend formuliert: „Wir bauen keine Technik für die Hälfte der Menschheit – wir gestalten sie mit der vollen Bandbreite menschlicher Erfahrung“ (Quelle). In diesem Sinne sind Hochschulen wie jene von Gerald Lembke nicht nur Ausbildungsstätten, sondern Laboratorien einer zukünftigen Tech-Ära – einer Ära, in der Diversität kein Buzzword, sondern gelebte Praxis ist.

 

 

Citations:

  1. https://de.easysend.io/blog/starke-frauen-in-der-technik-15-erstaunliche-frauen-die-die-welt-veraendern
  2. https://www.swisslife.com/de/home/blog/interview-lea-von-bidder.html
  3. https://www.elektronikpraxis.de/die-10-wichtigsten-frauen-der-technologie-branche-a-339847/?p=4
  4. https://womenandworkblog.wordpress.com/2018/08/29/erfinderinnenpreis-informatikerinnen-die-geschichte-geschrieben-haben/
  5. https://www.businessinsider.de/gruenderszene/perspektive/rdrct-einflussreiche-frauen-tech-forbes/
  6. https://www.welt.de/wirtschaft/article123975496/Viele-Menschen-muss-man-erst-aufruetteln.html
  7. https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/die-preistraeger/2010-2019/jaron-lanier
  8. https://openhsu.ub.hsu-hh.de/bitstreams/cd73cad1-980e-4105-8d24-d3b34c626ec0/download
  9. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/1984/Plenarprotokoll-538.pdf?__blob=publicationFile&v=2
  10. https://www.sueddeutsche.de/panorama/thermomix-launch-vorwerk-tm7-li.3203632

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