Was Unternehmen und  REHA-Einrichtungen für einen intelligenten Umgang mit digitalen Medien tun können
Im Rahmen eines Vortrages für die Deutsche Rentenversicherung habe ich einen Artikel für die Zuhörerinnen und Zuhörer verfasst. Diesen teile ich hier im Wortlaut:
Die digitale Mediennutzung wird in den Massenmedien aktuell heftig diskutiert. Dies betrifft sowohl die private Smartphonenutzung als auch die berufliche Nutzung privater mobiler Endgeräte. Viele stecken in einem Dilemma, dies gilt sicherlich auch für den Bereich der Rehabilitation: Einerseits ist die Digitalisierung an den Arbeitsplätzen bei Rehabiliationkliniken und Rehabilitationsleistungsträgern wie der Deutschen Rentenversicherung gewünscht und gewollt und stellt für Entscheider ein wichtiges und strategisches Handlungsfeld für die künftige Organisationsentwicklung dar. Andererseits verdaddeln immer mehr Mitarbeiter ihre Arbeitszeit und leiden unter ihrem eigenen Abhängigkeitsverhalten durch digitale Mediennutzung und -Unterhaltung. Den beruflichen Stress erhöhen Sie unbewusst durch privaten Stress, den eine ungesunde Digitalnutzung verursacht. Die DAK-Studie (2016) verweist auf den überproportional anwachsenden Stress bei Mitarbeitern seit 2013. Die Ursachen? Die immer weniger und zugleich kürzeren Erholungszeiten werden befeuert durch vor allem spät abendliche Dauernutzung von digitalen Endgeräten mit Netflix & Co.
Dieser von den Betroffenen in REHA-Einrichtungen oft belächelter Sachverhalt befindet sich aus der wissenschaftlichen Betrachtung zwar noch in den Kinderschuhen. Einerseits ermahnen wir unsere Kinder und Jugendlichen bzgl. ihres übermäßigen Bildschirmkonsums (bis zu sieben Stunden Bildschirmzeit pro Tag). Andererseits sind es aber gerade die Erwachsenen, die in den letzten Jahren von den Möglichkeiten Ihres Smartphones euphorisiert und blind sind. Manche finden es auch normal, wenn ihr Kind als Youtuber acht Stunden täglich vor dem Bildschirm sitzt und die Welt mit infantilen Erkenntnissen bereichert (vgl. Hart aber Fair vom 10.09.2018[1]).
Das aber vor allem die betriebliche Privatnutzung nicht weiter belächelt werden sollte, lässt sich vor allem von aus dem Ausland entnehmen. Zum Beispiel hat eine Studie von Carreerbuilder 2000 Personalchefs und 3000 Mitarbeiterin in den USA bzgl. ihres Nutzungsverhaltens befragt. Das Ergebnis überrascht: Pro Arbeitstag wird eine Arbeitsstunde für private SMS und Messenger-Nachrichten pro Mitarbeiter verwendet und ist mittlerweile die wichtigste Ablenkungsart nach „Schwätzen mit Kollegen“, „Internet-Surfen am Arbeitsplatzrechner“ oder „Rauchen“. Der deutsche Internetverband ECO erwartet sogar einen volkswirtschaftlichen Schaden, verursacht durch E-Mail, Spam und vor allem stark wachsender digitaler Kommunikation mit dem privaten Smartphone, weltweit von geschätzt bis zu Euro 1.000.000.000.000,- pro Jahr. Ob diesem gesamtwirtschaftlichen Schaden auch ein gleichwertiger gesamtwirtschaftlicher Nutzen entgegensteht, erscheint bei dieser Größenordnung unwahrscheinlich.
Doch nicht nur die Produktivität in den Unternehmen ist in Gefahr, sondern auch das individuelle Wohlergehen und die persönliche Gesundheit können bei einem abhängigen Nutzungsverhalten leiden. Die Risiken fokussieren sich zunächst auf das tägliche Wohlempfinden. Dies wird durch die stetige Fragmentierung des Alltages verursacht. Bis zu 10 Smartphoneaktivierungen pro Stunde lassen sich bei Mobilnutzern identifizieren. Es verwundert nicht, dass selbst Erwachsene, die meinen, nur mal eben schnell auf ihr Smartphone zu schauen, oft bis zu vier Stunden täglich mobil online sind und der Fragmentierung ihres Alltages Anschub unterliegen.
Hinweise auf Störungen der persönlichen und gesunden Entwicklung von Menschen hat erst jüngst eine Studie der Bundesdrogenbeauftragten geliefert. In einer publizierten Studie an 300 Familien mit 450 Kindern im Alter von 2 bis 12 Jahren wurde zum Beispiel beobachtet, dass Digitale Medien der Entwicklung von Kindern nicht nur schaden können, wenn diese sie selbst nutzen (bestätigt durch die BLIKK-Studie[2]), sondern auch, wenn ihre Eltern sie nutzen, während sie ihren Aufgaben als Eltern nachkommen. Das geschieht, wenn der Studie zufolge 40% der Kinder und 70% der Erwachsenen digitale Endgeräte (Smartphones, Tablets) zum Beispiel während der gemeinsamen Mahlzeit verwenden.[3]Dies lässt sich auf die Arbeit mit Rehabilitanden in REHA-Einrichtungen ebenso anwenden.
Eine weitere Studie an 183 erwachsenen Paaren mit Kindern zeigt, dass unsachgenmäßer Mediengebrauch der Eltern später (in einem Jahr) zu mehr Verhaltensproblemen bei ihren Kindern führt. Die Studienautoren ziehen ein bedenkliches Fazit: Bestimmte Eigenschaften der digitalen Technologie, einschließlich ihres verführerischen Designs (eine lange Nutzungszeit hat eine belohnende Wirkung), spricht besonders solche Erwachsene an, die entweder ohnehin Schwierigkeiten mit der eigenen Selbstregulation haben oder die mit ihrem Familien-oder Arbeitsleben frustriert sind. Das eine oder das andere oder beides wiederum führt zu noch mehr Unterbrechungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation und des familiären Zusammenlebens durch digitale Technologien[4].
Neues fand die „Motorola-Studie[5]“ bei insgesamt 4418 Männer und Frauen zwischen 16 und 65 aus Frankreich, den USA, Indien und Brasilien heraus. Sie wurden online zu ihrer täglichen Smartphone-Nutzung befragt.
- Etwa 33 Prozent der Befragten gaben an, lieber Zeit mit dem Smartphone, als mit anderen Menschen zu verbringen.
- Bei der Generation Z, also den Jahrgängen 1995 bis 2010, waren es sogar 53 Prozent. Sie beschrieben ihr Telefon als „besten Freund“.
- Zwei Drittel der Befragten gaben an, in Panik zu geraten, wenn sie das Smartphone verlieren; bei Generation Z sind es sogar 75 Prozent.
- Ungefähr 33 Prozent denkt über die nächste Handynutzung nach, sobald sie es weggelegt haben.
- Die meisten Nutzer gaben außerdem an, ihr Handy zwanghaft einschalten zu müssen.
Wir befinden uns nicht nur in einem Dilemma, sondern in einem gefährlichen Teufelskreis, den es zu erkennen und aufzubrechen gilt! Es wird Zeit, die eigene Haltung zu überdenken und mit sich selber ein Plädoyer für den gesunden Umgang mit Handy & Co zu vereinbaren. „Das Digitale darf das Soziale nicht verdrängen!“, ist die Forderung in meinem Buch „Im digitalen Hamsterrad“. Das Buch fordert in erzählerischer Weise einen gesunden Umgang mit Digital im Lebensalltag und gibt Tipps und Tricks. Darüber hinaus habe ich Hoffnung. Kinder akzeptieren gesetzte Regeln für Handy & Co. eher, wenn sich auch die Eltern daranhalten und einen bewussten Umgang mit Medien vorleben! Die Motorola-Studie stützt meine Hoffnung, dass dies gelingen könnte. Einige Nutzer sind sich demnach bewusst, dass sie ein „Handy-Problem“ haben:
- 60 Prozent möchten einen Lebensbereich, der von ihrem Smartphone getrennt ist.
- Die Hälfte der Befragten würden gerne ihr Handy seltener und weniger zwanghaft Einschalten.
- 35 Prozent der Teilnehmer sind sich im Klaren darüber, dass sie zu viel Zeit mit dem Handy verbringen.
- 35 Prozent versprechen sich mehr Glück, wenn sie weniger Zeit mit dem Handy verbringen.
Die medizinische Rehabilitation heute ist eine Reparatur-Organisation für erlittene Schäden an menschlichen Körpern und Seelen. Rehabilitationskliniken und Rehabilitationsträger Nun müssen zeigen, dass sie auch zukunftsorientiert denken und sich mit gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen beschäftigen können mit dem Ziel, einen gesunden Umgang mit digitalen Medien ihren Erkrankten vorzuleben und anzutrainieren. Doch bevor REHA-Organisationen dieses leisten können, liegt es an ihren Mitarbeitern und Führungskräften, eben diesen gesunden Umgang für sich selbst zu erlernen.
Hier gibt es einen Test mit zehn Fragen zum mobilen Nutzungsverhalten. Wenn Sie selbst den Test machen möchten, um zu schauen, ob Sie Ihr Handy übermäßig viel nutzen, dann klicken Sie auf diesen Link. Am Ende wird ihr persönliches Ergebnis angezeigt, in Relation zu ca. 60.000 anderen Testern gesetzt, und es gibt wertvolle Tipps.
Quellen:Â
[1]https://www.youtube.com/watch?v=rM0YZU75Y60
[2]BLIKK Medien Studie 2018 Abschlussbericht BLIKK-Medien: Kinder und Jugendliche im Um- gang mit elektronischen Medien (https://www. drogenbeauftragte.de/fileadmin/Dateien/5_Publi kationen/Praevention/Berichte/Abschlussbe- richt_BLIKK_Medien.pdf; abgerufen am 2.7.2018).
[3]Kellershohn J, Walley K, West B, Vriesekoop. Young consumers in fast food restaurants: technol- ogy, toys and family time. Young Consumers 2018; 19: 105–118.
[4]McDaniel BT, Radesky, JS. Technoference: parent distraction with technology and associations with child behavior problems. Child Dev 2018; 89: 100–109.
[5]Motorola (2018): Motorola Study Shows Alarming Results That Confirm Need for Better Phone-Life Balance. In: Motorola-Blog (21.10.2018)