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Wie die Generation Z wirklich tickt – Das Interview

Als ich dieses Buch empfohlen bekommen hatte, dachte ich mir: hmm…, was will mir da ein 14-jähriger Jungautor schon neues über die digitale Welt sagen. Doch nach ein paar Seiten gewann ich den Einblick in ein Mediennutzungsverhalten unserer Jugendlichen, dass ich nur aus Studien oder Erzählungen panisch anmutender Mütter kannte. Das Buch ist deshalb ein wichtiger Zeitzeuge einer Generation Z, da es einerseits die Hilflosigkeit der Jugendlichen und andererseits die Abhängigkeitsgefahren sehr deutlich aufzeigt. Es sei den Menschen gewidmet, die auf Studien nicht vertrauen (im Verständnis von „alternativen Fakten“). Folgendes Interview führte ich mit dem Autor Benjamin Neukirch, Autor des Buches „Ich und kein Handy„.

Frage 1: Hast Du heute ein Smartphone?

Ja, seit Beginn der siebten Klasse besitze ich ein Smartphone. Und es ist bis heute mein erstes, obwohl ich es kürzlich beim Schwimmen im Fluss in der Badehosentasche vergaß (das trocknende Bad in der starken Eifelsonne war seine Rettung).

 

Frage 2: Es ist kaum zu glauben: Ist die Generation Z tatsächlich den ganzen Tag am Smartphone?

In der Regel ist das Smartphone immer an und zur Hand. Nach meiner Beobachtung besteht das dringende Bedürfnis, immer ansprechbar zu sein bzw. jederzeit selbst in Kontakt treten zu können. Um nichts zu verpassen: Dafür bleiben viele sogar nächtelang online. Und es ist immer wieder schwierig, unter diesen Übermüdeten welche zu finden, die lieber in echte Aktionen gehen (wobei es im Frühjahr etwas leichter geht als im Winter).

 

Frage 3: Was sind aus der Rückschau der smartphonelosen Zeit Deine wichtigsten Erkenntnisse?

Nun, verblüffend ist, dass es sich mit einem klaren „Nein“ von meinen Eltern ganz gut leben ließ. Ein „Jein“ und „Vielleicht bald“ ist da viel schwieriger: Da hängt man im Hoffen und Quengeln fest. Dagegen war dieses „Nein“ auch ein Fels in der Brandung für mich. Und oft gab es starken Seegang: In mir tobten widersprüchliche Gefühle wie z.B. mein eigenes Begehren und mein Vom-Dauerthema-Smartphone-Genervt sein. In der Klarheit vom „Nein“ konnte ich mich darauf konzentrieren, in andere Aktionen zu gehen, die mir Spaß machten: Ich liebe Klettern, Radfahren, Longboarden, Schwimmen, Zeichnen, Kochen. Deshalb weiß ich, dass ich mich auch dann gut fühlen kann, wenn ich nicht mit den anderen im Strom mitschwimme. Etwas unreflektiert mitzumachen: Das fühlt sich nicht wirklich gut an.

 

Frage 4: Wie hast Du das Ausgegrenzt sein emotional verarbeitet? Was war eine hilfreiche Verarbeitungsweise/Verhaltensmuster?

Naja, wie gesagt, es gab diesen Fels, der mich spüren ließ: „Das ist nun meine Situation, aus der ich was machen kann!“ Ein Teil von diesem Machen können bestand darin, dass ich mir meinen Frust von der Seele schrieb. Dabei fiel mir dann auch Lustiges und Verrücktes auf, das ich in meinem „Seelen Tagebuch“ festhielt. So war dieses Nichthaben viel weniger eng und ich hatte fast jeden Tag unterstützende Gespräche mit meinen Eltern. Die haben ja nicht einfach nur „Nein!“ gesagt, sondern legten sich für mich ordentlich ins Zeug. Wenn ich im Gespräch mit ihnen offen zum Ausdruck bringen konnte, welche Gefühle und Gedanken mich auf Trab hielten, dann geschah es, dass ich mich gut und richtig fühlte. Ich kam runter vom Stress und konnte wieder mit Schwierigem zurechtkommen: z.B., in Vertretungsstunden als Einziger kein Spiel spielen zu können.

Verhaltensmuster? Pfiffige Sätze wie „Ach ja?“ und „Wenn du meinst!“ halfen mir, Leute mit platten Kommentaren zu meiner Handylosigkeit auf Abstand zu halten bzw. selber Distanz zu halten, damit es nicht so weh tat. Selbst nur innerlich gesprochen wecken sie die Kraft zu erkennen: Nicht der andere ist der Maßstab, sondern die eigene innere Einstellung. Außerdem half es, auch darauf zu schauen, dass die selber gar nicht glücklich waren mit diesem so Wichtigsten, um das sie immer kreisten.

 

Buchautor: Benjamin Neukirch
Wie die Generation Z wirklich tickt – Das Interview 1

Frage 5: Wie hast Du Dir den Weg in die Realität gestaltet?

Manchmal musste ich meinen Boxsack traktieren, auch mal brüllen, schimpfen, weinen, um Aufgestautes in mir wie zurückgehaltene Wut, irritierendes Beschämt sein, wortlose Angst vor Alleinsein in Fluss zu bringen…, um den Weg freizuschaufeln zum Spüren, worauf ich Lust hatte. Dann sah ich ihn, den Weg, der ja schon da war fürs Longboard, Mountainbike, Zeichenpapier, Buch, Backblech, Lagerfeuer, Kugellager-Jojo oder zum Kletterbaum, in die Wiese, auf die Schlittenbahn, in die Ahr zum Schwimmen…ich brauchte ihn nur zu gehen.

 

Frage 6: Was war das Schlimmste des digitalen Gruppendrucks für Dich?

Nun, manchmal war es sehr unangenehm, dass ich Informationen oder Abmachungen nicht mitbekam, weil meine Klassenkameraden über WhatsApp kommunizierten. Und wirklich schlimm war, dass ich ihrer Behauptung, ich müsse unbedingt ein Smartphone haben, bisweilen selber glaubte. Aus diesem Glauben an die propagierte Notwendigkeit musste ich mich dann wieder lösen.

Das So Tun der anderen, als wäre ich ohne Smartphone so richtig arm dran, war wirklich frustrierend, wo sie doch selber in etwas verschwanden, was sie offensichtlich stresste und wie ein Unglück in Beschlag nahm und mich alleine zurückließ.

Ja, eine seltsame Form von Alleinsein war das, wobei die anderen auch irgendwie alleine waren: jeder für sich in einer Spielewelt bzw. nur darüber verbunden. Das sieht schon von außen ärmer aus als früher das gemeinsame Spielen im Sandkasten. Von früher wusste ich, wie es sich anfühlt, einen Freund zu haben, mit dem man durch dick und dünn gehen kann. Das braucht echten Raum und kein künstliches Spielfeld.

 

Frage 7: Wie bewertest Du heute das Verhältnis zwischen realer und virtueller Welt? Hast Du eine Priorität?

Auch als Smartphonebesitzer bevorzuge ich immer noch die reale Welt, wobei ich die virtuelle Welt immer wieder äußerst verlockend finde. Aber jedes Mal, wenn ich mich in dieser aufgehalten habe, realisiere ich, dass ich mich nicht richtig lebendig fühle; dass es sich so anfühlt, als hätte ich nichts Richtiges gemacht. Natürlich habe ich zunächst auch mal intensiv gezockt oder gechattet, aber es bewirkt in mir so eine Art Zombie-Gefühl.

Die virtuelle Welt hat für mich keinen echten Wert. Es gibt immer wieder Spiele, die ich spannend finde; aber in der Regel dauert es nicht lange, und ich finde sie langweilig und irgendwie hohl. In meinem Umfeld erlebe ich die virtuelle Welt als sehr überbewertet, aber das kann ich den anderen nicht wirklich zeigen. Die empfinden das irgendwie anders, da kann ich nichts machen. Wenn ich z.B. über eine wilde Wiese mit Blumen und tausend Kräutern gehe, dann spaziere ich durch eine tolle, eigene Welt mit vielen Geschöpfen, die nicht das LangweiligTote der virtuellen Welt enthält.

Irgendwie brauche ich die Welt für alle Sinne, die künstliche dagegen nicht. Warum die vielen anderen das nicht so empfinden, verstehe ich nicht; manchmal denke ich, die haben ein anderes Gehirn.

 

Frage 8: Wie gehen Deine Lehrer mit dem Allways-On Ihrer Schüler in der Schule um?

Tja, die Lehrer machen das teilweise genauso, die hängen selber mit drin: In der Grundschule habe ich erlebt, dass das „Vorbild“ während der Sportstunde zu einem Spiel anleitete und dann am Spielfeldrand im Smartphone verschwand. Und WhatsApp-Gruppe in der fünften Klasse und freies Handyspiel bei Stundenentfall und Vertretung ist immer wieder normal.

Aufmerksame Lehrer indessen ermahnen uns Schüler, denn an meinem Gymnasium gilt (eigentlich!), dass das Smartphone während der ganzen Schulzeit ausgeschaltet sein muss.

Sehr selten findet es auch mal zwecks Informationsbeschaffung Einsatz während des Unterrichts.

 

Frage 9: Was war Dein bisher größtes Erlebnis, was Du mit dem Smartphone für Deine Schule gelernt hast?

Einmal wurden wir im Unterrichtsfach Politik angewiesen, durch das Städtchen zu ziehen und mit unseren Smartphones Bilder zu machen. Wir hatten gelernt, wie die Medien den Bildeindruck beim Betrachter  in die gewünschte Richtung lenken, z.B. durch den einfachen Perpektivenwechsel, durch Beschneiden des Bildes oder den Farbwechsel. Nun sollten wir uns selbst verschiedene Perspektiven überlegen, die sich zur Verfälschung der Realität eigneten. Die Unterrichtsstunde darauf brachte unser Lehrer die Bilder ausgedruckt mit und wir konnten sie selbst bearbeiten.

Das hat Spaß gemacht und hat mir gezeigt, wie einfach es ist, eine Fotografie so zu gestalten, dass ein völlig falscher Eindruck beim Betrachter entsteht. Das Ausmaß an Täuschung und wie leicht sie bewerkstelligt wird beeindruckt mich nachhaltig.

 

Frage 10: Was würdest Du anderen Jugendlichen empfehlen im Umgang mit digitalen Geräten?

Ich empfehle, sich nicht in Streitereien, die im Internet laufen, einzumischen. Das führt nur zu Ärger: Es gibt keine Lösung, die Welle schlägt nur immer höher. Beleidigungen, Drohungen nehmen schnell überhand und man ist innerlich lange Zeit damit beschäftigt.

In eine größere Gruppe würde ich nichts einbringen, was sehr privat ist. Z.B. lasse ich eine bestimmte Art von Humor, den ich nur mit ein bis zwei Vertrauten teile, beiseite und bringe nur Inhalte in die WhatsApp-Gruppe ein, die für alle von Interesse sind und irgendwie passen.

Indessen nützen Empfehlungen nicht wirklich etwas, jeder tickt anders. Aber grundsätzlich gilt: Wach in der Welt zu sein fühlt sich gut an. Und dieses Wachsein wird auch dadurch gefördert, dass man sich bisweilen auf etwas einlässt, was nichts mit der virtuellen Welt zu tun hat. In den Ferien fahre ich z.B. in ein WildnisAbenteuerCamp nach Ungarn. Auf der Packliste steht, das Smartphone mitzubringen wäre unnötig, ein gutes Schnitzmesser sei jedoch Pflicht. Das kommt mir entgegen, ich schnitze sowieso gerne. Und es gibt tausend andere Abenteuer, die man erleben kann. Bei uns steht z.B. ein Billardtisch im Wohnzimmer, Ringe zum Turnen hängen von der Decke, das Longboard ist immer zur Hand und einsatzbereit, das Mountainbike wiehert in der Garage. Ich finde, es lohnt sich, über dem Handy die reale Welt mit ihren tausend anderen Schätzen nicht zu vergessen.

 

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4 thoughts on “Wie die Generation Z wirklich tickt – Das Interview

  1. 14 ?
    Sehr schön und sehr reflektiert und zum Weiterleiten geeignet, aber redet so ein 14jähriger ?
    „Aus diesem Glauben an die propagierte Notwendigkeit musste ich mich dann wieder lösen“
    Der Junge ist wohl eher ein Sonderfall. Wichtig finde ich die Botschaft: gegen den Strom zu schwimmen bedeutet heute,
    dem phone seine Dominanz zu nehmen und eine Menge an aufgeblähter Kommunikation einfach zu ignorieren

  2. Hallo, hier meldet sich der „Sonderfall“,
    ich finde so einen BLOG ein interessantes Instrument und war schon ganz gespannt auf den ersten Kommentar.
    „Aber redet so ein 14jähriger?“ ist hier nun die Frage. Hm…..für mich ist es ein Unterschied, ob ich rede oder schreibe. Das Interview hatte die Schriftform. In einem Gespräch hätte ich spontan eher andere Worte gewählt, so aber hatte ich Zeit zum Formulieren. Als 14-jähriger Schüler auf einem Gymnasium habe ich im Deutschunterricht Formulierungen dieser Art einfach zu leisten…..und ich mag die Schriftsprache.
    Eine andere Quelle, so zu schreiben, ist, dass meine wirklichen Freunde alles Erwachsene sind. Es ist einfach meine Realität, jeden Tag mit idealisierenden Reden über dieses und jenes Computerspiel von meinesgleichen bedrängt und überschüttet zu werden. Das ist die „Dominanz“, die täglich auf mich einwirkt: Sie geht von den Benutzern der Smartphones und Computer aus und nicht von den Geräten. Es geht in der Regel um ein Tollstes, noch Neueres…..und sowas wie Auf-Bäume-Klettern bleibt auf der Strecke.
    Ich selber lebe derzeit wieder ohne Smartphone: Ich hab‘s kurzerhand für ein halbes Jahr in einer Schublade eingeschlossen. Fast täglich sitze ich in irgendeiner Baumkrone; spüre den Baum im Wind als lebendig; hab frei vom Konsumentengequassel.
    Die Kumpels sitzen lieber in ihrem Gamer Stuhl vor ihrem Gamer PC, zucken und sind genervt. Da ist nix mit unterm Sternenhimmel liegen und philosophieren, wie ich es in den Ferien nachts mit zwei wachen, höchst lebendigen Leuten in ihrer URLaube in Ungarn erlebt habe. (Zusammen mit 2 anderen Jungs und 7 Mädchen im Alter von 14-18 Jahren nahm ich an ihrem spannenden Wildniscamp teil). Nicht mal ein guter Film geht: Ich hab‘s bei einem Kumpel ausprobiert und bin mit „Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück“ – einem Filmjuwel – kläglich gescheitert.
    Also schaue ich halt mit den erwachsenen Freunden gute Filme und spreche über das Leben und die Welt…..und die eine oder andere tolle Formulierung windet sich durch meinen Gehörgang und nistet sich in einer freien Gehirnzelle ein.
    Ich habe Lust auf Leben…..und verstehe wohl etwas anderes darunter als die, die mich in meinem Alltag normalerweise umgeben. Möge es bald mehr „Sonderlinge“ geben: gerne bald sehr viele, sodass wir dann die „Normalen“ sind.

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