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Digital Natives – Anspruchsvoll und unglücklich

Die „Digital Natives“ scheinen die Könige auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Sie werden nachgefragt und bestimmen Verhandlungen in Unternehmen. Sie können zwar mobile Computer für Chats und Mails sicher bedienen, doch für Beruf und Leben erfolgversprechende Fähigkeiten sind – vergleichbar mit anderen Generationen – immer weniger ausgeprägt: Soziales Verhalten, Handlungskompetenz, strukturiertes und logisches Denken nehmen ab. Status, Macht und Geld verlieren ihre handlungsmotivierende Bedeutung (siehe hier). Unternehmen stehen vor einem Mythos. Ein Aufhellungsversuch. 

 

Unreflektierter Glaube an die Jungen 

Unternehmen sind auf der Suche nach diesen jungen Menschen, die Mitte der 90er Jahre geboren wurden. Sie wurden mit Internet und später mit mobilen Endgeräten groß. „Sie haben das Internet mit der Muttermilch aufgesogen“, sagen die einen. „Sie sind die Mitarbeiter von morgen in einer digitalen Welt, die wir (Älteren) heute nicht verstehen“, meinen die anderen. Ihnen gehöre die Zukunft. Sie hätten die notwendigen Kompetenzen für den Umgang mit der digitalen Komplexität, denken viele Personalentscheider. In großer Fanfare wird die Medienkompetenz heraus posaunt.

 

So geschehen im Gespräch mit einem Unternehmer (Jahrgang 50). Er erzählte mir von einem 24-jährigen Vortragenden, der über seine Generation berichtete. Er produziere täglich bis zu zehn Internet-Videos und stelle diese als „Youtuber“ ins Internet. „Fantastisch!“, merkte der Unternehmer an. Vor Jahren noch belächelt wird der „Native“ heute bewundert. Übersteigertes Selbstbewusstsein gepaart mit übersteigerten Erwartungen und der Überzeugung eine besondere Generation zu sein, sind Merkmale vieler junger Erwachsener dieser Generation. Frust und Enttäuschungen entstehen, wenn sich diese Erwartungen nicht erfüllen. Denn: Glück = Realität – Erwartungen. Wenn es besser kommt, als man erwartet hat, ist man glücklich. Wenn es schlechter kommt als erwartet, ist man unglücklich.

 

Die Jungen belehren die Alten

Manchmal zurecht laufen die heute 18-22-Jährigen durch die Welt und erklären den „alten Säcken“ die Welt von heute. Einer dieser (mittlerweile etwas älteren) Menschen ist Phillip Reidel, der mit seinem Buch („Wer wir sind, und was wir wollen: Ein Digital Native erklärt seine Generation“) und einigen öffentlichen Vorträgen (Beispiel) in der Digitalszene bekannt wurde. Ein Junger erklärt den Älteren die Welt. Das müsste uns doch gegen den Strich gehen, ist es doch seit Jahrhunderten bisher umgekehrt gewesen: Die Jungen lernten von den Älteren.

 

Doch die junge Generation argumentiert, dass durch das Internet (neben einer Kulturrevolution) auch eine Gesellschaftsrevolution im Gange ist, die alles Dagewesene auf den Prüfstand stellt. So hätten es die jungen Menschen gerne. Eine basale Revolution der Gesellschaftsverhältnisse mit Hilfe des Internets. Doch schaltet man den Natives den Strom ab, wird es nicht nur dunkel sondern tragisch. Das Bild wird gezeichnet durch zahlreiche Studien, Publikationen und Beobachtungen:

  1. Die viel beschworene Medienkompetenz verkümmert zu einer „Klick- und Bedienkompetenz“ (ICILS 2013). Ich spreche hier von der „Wischkompetenz“ einer Copy-und-Paste-Generation.
  2. Wachsendes Selbstbewusstsein basiert nicht auf Fähigkeiten, sondern entpuppt sich als antrainierte Fähigkeit des „ICH-Marketings“ (JIM-Studie 2014)
  3. Erwartungen an die Umwelt i. B. an Arbeitgeber (nur selten auch an sich selber) sind von der realen Welt häufig weit entfernt.  (Hamburg Media School/XING, DIE WELT).
  4. Immer mehr Abiturienten sind nicht studierfähig und werden in Schulen und Hochschulen durchgewunken. (Studie Konrad-Adenauer-Stiftung, Bericht N-TV)

 

Die Erwartungen werden enttäuscht

Ja, die Digital Natives scheinen zu ahnen, dass sie etwas besonderes zu sein scheinen… Bei so viel Berichterstattung in Medien und Verbänden. Der Arbeitsmarkt für digitale Kompetenzen befindet sich seit den 90er Jahren im Ungleichgewicht. Wachsende Erwartungen auf beiden Seiten entstehen, die  leider zu selten erfüllt werden. Die Gründe lassen sich in vier Erklärungsansätzen formulieren.

  1. Auf den Knien bittende Arbeitgeber
    Unternehmen zahlen überdurchschnittlich hohe Gehälter und Vergütungen an die „Natives“, von denen ihre Eltern nur träumen durften und andere Berufe (z. B. die so wichtigen Pflegedienste) neidisch werden müssen. Sie suchen junge Nachwuchsmitarbeiter, im Besonderen zur Bewältigung der anwachsenden digitalen Herausforderungen in den Unternehmen. Doch die Revolution der Internet-Generation bleibt bis heute aus (ManagerMagazin 2009). Anstatt in Bewerbungsgesprächen Grenzen zu setzen, gehen immer mehr Personalentscheider auf die Generation ein und ködern sie mit materiellen Vergütungen. Wer sollte da mit 24 Lebensjahren nicht denken: „Ich hab´s geschafft!“ Doch die Lücke zwischen „Können“ und der willentlichen Gestaltung von beruflichen Lebenswelten ist riesig. Nur wagt sich niemand, das zu sagen. Der „Native“ könnte ja sofort den Arbeitgeber wechseln.
  2. Eltern in Hubschraubern und Privattaxis
    Eltern haben seit Geburt Ihrer „Native-Sprößlinge“ das Besondere ihrer Kinder hofiert, ausgebildet und kommuniziert. So viele besondere Menschen, alles kleine, ach was, große Einsteins. Pia Frey von DIE WELT nennt die Sprößlinge „GYPSYS„, „GenY Protagonist & Special Yuppies“, verwöhnte Hedonisten mit zugleich hohem Unglückspotential. Dabei mutieren Eltern zu Taxidienstleistern ihrer Sprößlinge und substituieren ihre originäre Aufgabe: das Setzen von Rahmenbedingungen, Grenzen und einer zwischenmenschlichen Vertrauensbasis. Das so Erlernte nennt man in der Wirtschaft u. a. Sozialkompetenz.
  3. Soziale Netzwerke sind das Öl im Neidfeuer
    Soziale Netzwerke sind eine feine Sache, sofern man mit ihnen gezielt und gesteuert umzugehen vermag. Die Natives können dies nicht, wie die aktuelle ICILS-Studie mal wieder belegt hat. Die vermeintlich medienkompetente Generation kann zwar klicken und chatten wie die Weltmeister, das war’s aber auch schon. Neid auf andere ist eine bestimmende Handlungskategorie. Auf andere zu schauen, um seinen eigenen Wert zu (be-)messen, war schon immer ein Trugschluss eigener Persönlichkeitsentwicklung. Das Denken über Jahre hinweg verlernt oder verdrängt oder beides, unterliegen sie dem Diktat der Informationsanbieter im Internet. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beiträge noch so unlogisch, unsinnig, vermeintlich zielführend sind. Selbstreflexion? Fehlanzeige! Logisches Denken? Unnötig. Willkommen in der Google-Apple-Amazon-Facebook-Informations-und-Shopping-Welt.
  4. Jeder Generation ihre eigenen Regeln
    Das soll um Gottes Willen so bleiben. Ältere sollten den Jungen nicht nachahmen bei Musikgeschmack und zeitgeistigen Beschäftigungen. Sie sollte der Generation ihre Selbstbestimmung belassen. Doch die Herausforderung heute ist nicht das Ausloten und Überschreiten von Grenzen. Vielmehr leiden sie unter der Qual der Wahl, eine der tausend offenen Türen zu durchschreiten. Die „Alles-überall-für-jeden-verfügbar-“ Mentalität, gestützt durch häufig finanziell abgesicherte Bürgerfamilien, lässt das innere Feuer und die Leidenschaften für Themen und Motivationen im Keim ersticken. Handlungskompetenzen werden sich nicht „einfach so“ ergeben. Dabei sind sie der Motor, die Motivation, mit ausgeprägtem Willen sein Leben aktiv zu gestalten und so glücksfördernde Rahmenbedingungen nachhaltig zu . Leider gehen diese Anforderungen im Nirvana der hohen Erwartungen unter.

 

Alles aber nicht Besonders

Den „Digitale Natives“ weht ein Mythos um die Nase. Noch gehen viele Arbeitgeber der Unkenntnis über real existierende Kompetenzen auf den Leim. Erst das Leben wird die Spreu vom Weizen trennen. Und obwohl der Mensch grundsätzlich etwas Besonderes ist, muss jeder Mensch das Besondere in seinem Leben bewusst, aktiv und willentlich erst gestalten. Das passt nun so gar nicht zu den hohen Erwartungen der „Natives“. Auch in den nächsten 50 Arbeitsjahren wird der „Native-Generation“ nichts zufliegen, wenn es auch heute den Anschein haben mag. Die „Digital Natives“ sind daher nicht eine glücklichere Generation, sondern eine von Ängsten und Unsicherheiten geprägte Gruppe. Mut? Unternehmertum? Innovatives (ver-)suchen? Für viele bleibt das unerreichbar und wird auch nicht verfolgt. Zum Glück leben sie aber in einer Gesellschaft, die das weder fördert noch fordert. Und somit sind sie in schützender Runde – mit all den vorderen Generationen. Weder etwas besonderes noch gehören sie zu den Auserwählten. Oder wie meine Großmutter immer zu sagen pflegte: „Ohne Fleiß kein Preis„.

 

Paul Harvey, ein Professor der Universität New Hampshire und GYPSY-Forscher rät Menschen, die es in Einstellungsgesprächen mit diesen jungen Leuten zu tun bekommen, zwei Fragen zu stellen: „Hältst Du Dich prinzipiell für besser als deine Kollegen und Kommilitonen? Und wenn ja, warum?“ Aufpassen müsse man vor denjenigen, die auf die erste Frage mit „Ja“ antworten, aber Probleme haben, etwas auf die zweite Frage zu entgegnen. „Ihre Eltern haben ihnen etwas zu eifrig ein großes Selbstbewusstsein gepredigt“, erklärt Harvey. (übersetztes Zitat von WELT, Originalquelle).

 

 

Wie Personaler in Unternehmen mit den Digital Natives umgehen sollten, erörtere ich in diesem Radiointerview für SWR1 und SWR Info (7:13 Min):

 

Das Buch zur digitalen Medienkompetenz: „Die Lüge des digitalen Lernens – Wie unsere Kinder das Lernen verlernen“ (Erschienen März 2015 im Redline Verlag) ANSEHEN

 

Zu diesem Thema habe ich im Mai 2015 mit einigen Berufs- und Fachverbänden diese Konferenz im SWR Mannheim in´s Leben gerufen. 

 

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5 thoughts on “Digital Natives – Anspruchsvoll und unglücklich

  1. Sehr kritische Betrachtung der Digital Natives. Ich bin selbst Mutter von zwei Digital Natives. Einem Großteil Ihrer Aussagen stimme ich zu. Mein Fazit: Auch diese Generation wird sich den Bedürfnissen der Wirtschaft stellen und anpassen.

    1. Vermutlich werden sie das. Doch: Möchten wir Menschen entwickeln mit dem Ziel einer hohen Anpassungsfähigkeit? Oder kritische, autonome und von der Wirtschaft unabhängige Persönlichkeiten? Mein Zwischenfazit: Von den Ersteren haben wir in unserer Gesellschaft bereits hinreichend und von den Zweiten viel zu wenig!

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